Eine Frau – nur eine Frau

Superbass (CC BY-SA 4.0) Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Almila Bagriacik, Superbass (CC BY-SA 4.0) Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Ein Film von Sherry Normann, produziert von Sandra Maischberger,

Ein Kapitel deutscher Migrationsgeschichte
im Spiegel der Presse

Die Geschichte ist klar und schnell erzählt:
Aynur Hatuns Sürücüs Eltern sind konservative sunnitische Kurden. Sie verheiraten ihre Tochter mit einem Cousin in der Türkei. Der schlägt sie. Hochschwanger kommt Aynur zurück nach Berlin. Als ihre Mutter sie im Treppenhaus der Wohnung am Cottbusser Damm sieht, bemüht sie sich darum, ihre Enttäuschung zu verbergen. Schon bald gibt sie sich keine Mühe mehr. Ihre Brüder rasten bei ihrem Anblick aus. Die Familie versucht Aynur zur Rückkehr zu bewegen,  sie sagt, sie ekönne nicht. Sie versuchen es weiter.  Sie bleibt.

Aber das Leben in der Familie, nun mit eigenem Kind, wird für Aynur unerträglich: psychischer Terror der Brüder, die Ignoranz ihres Vaters, die Bevormundung ihrer Mutter, der ständige Hinweis auf ihr Dasein als Schande. Aynur wagt den radikalen Schritt: Mit amtlicher Hilfe kommt sie in einem Heim unter, später in einer eigenen Wohnung. Sie beginnt eine Ausbildung als Elektroinstallateurin. Sie zieht ihr Kind auf. Sie verliebt sich. Sie ist traurig über den Verlust ihrer Familie, sie hat vier jüngere Schwestern zurückgelassen. Aber sie bleibt tapfer. Sie schafft das alles irgendwie.

Wären da nicht ihre Brüder, die sie immerzu mit Anrufen terrorisieren. Brüder, in deren Augen sie mit dem Auszug die Familienehre endgültig verspielt hat, die in die Moschee gehen und dort aufschnappen, was zu tun ist, die den Jüngsten darauf vorbereiten.
Weil Hatun Sürücü darauf beharrt, dass sich doch alles leben können muss in einem freien Land. Die Selbstbestimmtheit und die Werte der Familie. Die nicht brechen will mit jenen, jene nicht aufgeben will, die sie selbst längst aufgegeben haben.
Aus den Augenwinkeln von Hatun Sürücü erzählt Sherry Horman von der Verzweiflung der Eltern, die sich selbst und ihre Werte nicht loswerden können. Das Psychogramm einer Familie. Von Radikalisierungen.
Die Macherinnen haben den Anspruch, sich bei ihrer Erzählung nahe am Überlieferten des Falls Sürücü fortzubewegen. Das tun sie möglicherweise auf Kosten der Eindimensionalität, mit der sie dem System Patriarchat begegnen. Frauenmorde sind die Konsequenzen eines solchen Systems, einer gesellschaftlichen Struktur, genährt und legitimiert durch eine Ideologie.
Sie sind keine individuell verhandelbaren Verbrechen.
In dieser Geschichte bahnt sich der Mord an Sürücü jedoch ausschließlich innerhalb der vier familiären Wände an. Das Systematische kommt nicht in den Blick. Was man kaum erfährt: In welchem gesellschaftlichen Milieu bewegt sich die Familie? Wie werden Frauen- und Männerbilder dort verhandelt? Wie funktioniert die misogyne Ideologie, weshalb ist sie in dieser Familie so wasserdicht?

Diese Fragen werden angerissen, etwa mit kurzen Sequenzen von Moscheebesuchen der Brüder, aber ihnen wird nicht konsequent nachgegangen. Die Unterkomplexität weist wiederum auf ein Ungleichgewicht in deutschen Filmen und Medien hin: Weiße Täter werden psychologisiert, während migrantische Täter schablonenhaft bleiben. Ermordet ein weißer Täter eine Frau, ist oft die Rede von „Beziehungstat“ oder „Familientragödie“, während bei migrantischen Tätern alles mit dem Wort „Ehrenmord“ erklärt scheint.Der Film „Nur eine Frau“ ist trotzdem wichtig für Deutschland. Denn er setzt ein Denkmal für Hatun Aynur Sürücü.
Epofilm
Leicht hätte das Ganze als plakatives Drama enden können. Das tut es aber nicht, was auch dem lakonischen Ton zu verdanken ist, der nun einer Hauptfigur gegeben wird. Deren subjektive Sicht bestimmt den Film. Quasi aus dem Jenseits, mit dem Abstand der Wissenden kommentiert Aynur den Gang der Ereignisse, die zu ihrem Tod führen werden, und später vor Gericht. Zurückgegriffen wurde dabei auf das Buch »Ehrenmord: Ein deutsches Schicksal« von Matthias Deiß und Jo Goll, auf Hintergrundberichte und Gerichtsakten. Der Filmtitel »Nur eine Frau« weckt verschiedene Assoziationen: Hier geht es nicht allein um die Geringschätzung und totale Bevormundung von Frauen in patriarchalisch-archaischen Strukturen, sondern auch darum, dass vielen Frauen in einem solchen Milieu das Gleiche wie Aynur angetan wurde und wird.

MDR

Regisseurin Sherry Hormann („Die Wüstenblume“) bleibt nicht bei der Unterdrückung stehen, sie setzt auch den mutigen, solidarischen, moslemischen Frauen ein Denkmal, die Hatun geholfen haben und nach ihrem Tod unter hohem Risiko mit ihren Aussagen verhinderten, dass ihr kleiner Sohn in die Familie des Mörders kommt. Das sind ermutigende, weibliche Gegenbilder in einem starken, differenzierten und sehr bewegenden Film.

die Welt

Nur eine Frau“ ist keine Hagiographie, es ist eine ziemlich virtuose Ausleuchtung eines psychologischen, religiösen, gesellschaftlichen Krisengebiets. Und überhaupt tut Hatun Sürücü nur, was jede Frau tun sollte, auf ihr Recht auf Selbstbestimmung beharren.

MDR
Jetzt kommt das schreckliche Geschehen in einem respektvollen, sehr lebendigen und packenden Film auf die Leinwand. Die ermordete Hatun schaut hier auf ihr Leben zurück, schildert die beengten Verhältnisse in ihrer Familie, die Dominanz ihrer Brüder, ihren Aufbruch. Wunderbar spielt Almila Bağrıaçık („4 Blocks“) Hatun nicht als Opfer, sondern als eine lebensfrohe, entschlossene, junge Frau.

Regisseurin Sherry Hormann („Die Wüstenblume“) bleibt nicht bei der Unterdrückung stehen, sie setzt auch den mutigen, solidarischen, moslemischen Frauen ein Denkmal, die Hatun geholfen haben und nach ihrem Tod unter hohem Risiko mit ihren Aussagen verhinderten, dass ihr kleiner Sohn in die Familie des Mörders kommt. Das sind ermutigende, weibliche Gegenbilder in einem starken, differenzierten und sehr bewegenden Film.

Die ZEIT

Ihr Kinofilm Nur eine Frau erzählt von Hatun Aynur Sürücü, die am 7. Februar 2005 im Alter von 23 Jahren von ihrem jüngsten Bruder hingerichtet wurde, weil sie sich weigerte, nach den Regeln zu leben, die die strengen sunnitischen Traditionen ihrer türkisch-kurdischen Familie für sie vorsahen.

Frage an Frau Hormann: Warum war es Ihnen wichtig, Aynurs Geschichte im Kino zu erzählen?

Sherry Hormann: Vor allem ging es mir um das Selbstbestimmungsrecht dieser jungen Frau. Darum, dass man einer Frau nicht vorschreiben darf, wie sie zu leben hat – egal aus welcher Tradition, welchem Wertesystem und welcher Religion sie kommt. Mir war es wichtig, den Film, basierend auf den Fakten, zu erzählen. Wir haben die Gerichtsakten studiert und Zeitzeugen interviewt, um Aynur eine Stimme zu geben. Ich wollte, dass man sie spürt in ihrer Kraft und in ihrer Freude am Leben – gerade auch im Kontrast zu dem, was dann später passiert ist. Das Publikum soll spüren, wer uns da durch diesen Mord verloren gegangen ist.

Fazit
Nur eine Frau“ ist keine Hagiographie, es ist eine ziemlich virtuose Ausleuchtung eines psychologischen, religiösen, gesellschaftlichen Krisengebiets. Und überhaupt tut Hatun Sürücü nur, was jede Frau tun sollte, auf ihr Recht auf Selbstbestimmung beharren.