Prof. Dr. Wolfgang Ruppert
Künstler in politische Zeitgenossenschaft
Künstleridentität bildet sich in politische Räumen
Die Hauptthese Prof. Rupperts lautete, Künstler*innen würden ihre Identität in gesellschaftlichen und politisch strukturierten und sozialen Räumen bilden.
Dabei bewegte ihn die Frage: Wann können wir einen Künstler als Künstler bezeichnen oder wann kann er /sie das selbst?
Drei Ebenen künstlerischer Perönlichkeit
Ruppert meint, die künstlerische Persönlichkeit ist in drei Ebenen zu erfassen
in der des Mythos
in der des Habitus
in der der Profession.
Der Mythos, der Künstler*innen umgibt, entwickelt sich durch die gesellschaftliche Sonderstellung, durch ihre Kreativität und Innovation, dadurch, dass sie Grenzen erweitern oder überschreiten, dass sie Neues zeigen.Der künstlerische Habitus entwickelt sich im Studium und der darauf folgenden künstlerischen Praxis, dem Umgang mit Publikum, Galerien, Museen usw.Die Professionalität schlägt sich in der Beherrschung von Material und Werkzeug, von der Beherrschung technischer, technologischer, digitaler Medien nieder.
Was ist das Verbindende zwischen unterschiedlichen Künstlern?
Prof. Ruppert interessierte weiter die Frage: Was ist das Verbindende zwischen Künstler*innen vom Beginn des 20. Jh. bis heute. Was ist das, was es ausmacht, dass man z.B. so verschiedene Künstler wie Kandinsky, Schlingensief oder Pina Bausch als Künstler bezeichnen kann.
Kreativität muss sich entwickeln, muss geschult werden. Aber die Zeitgenos-senschaft gibt den Rahmen vor. Spezifische Handlungs- möglichkeiten hängen von den Kontexten der Zeit ab. Eine Pina Bausch wäre in den 50er Jahren nicht denkbar gewesen. Heimat, geistige und künstlerische Heimat ist an die Zeitgenossenshaft gebunden.
Bruch mit der künstlerischen Tradition
Nachdem die meisten Künstler*innen nach dem Desaster des 2. WK keinen Anlass sahen, die Kultur, die zu diesem Chaos geführt hatten, weiterzuschreiben, entschieden sich die meisten bewusst für einen Bruch mit dieser Tradition.
In diesem Zusammenhang spielte Willy Brandt als Hoffungsträger ohne braune Belastung und als Teil einer Minderheit von 5 – 10 % der dt. Bevölkerung, die sich dem Nazi-Regime widersetzte. Er war für viele der Garant für eine demokratische Entwicklung und für das Umsetzen einer Utopie von Links und Frei, was Ruppert durch Einzelheiten der Brandt´schen Biographie unterstrich.
Thomas Mann und die Nazi
Anhand biographischer Daten
von Thomas Mann machte Prof. Ruppert deutlich, dass der Künstler anders auf
zeitgenössische Herausforderungen reagiert als das betroffene gesellschaftliche
Individuum. Mit Zitaten aus Doktor Faustus, in dem die Zustände sehr vertieft und komplex analysiert
sind, und einer Radiorede, die Mann während des Krieges an seine ehemaligen
deutschen Mitbürger richtete und gnadenlos mit Ihnen wegen ihrer breiten
Unterstützung der Naziverbrechen abrechnete.
Kandinsky – Vertreter eines europäischen
Modernismus
Ein weiteres Beispiel, an
dem Ruppert die zeitgenossenschaftliche Bindung deutlich machen wollte, war
Kandinsky, der Begründer der Abstraktion. Seine künstlerische Laufbahn begann
1895 erst nach juristischem Examen und Promotion als künstlerischer Leiter
einer Moskauer Druckerei.
In der russischen Heimat erfährt er die Einschränkungen der Kunstfreiheit durch
die neuen Machthaber und erliegt
dem Mythos des Künstlertums, so dass er
nach München quasi ins Exil geht, wo er an einer Malschule studierte, an der er
erstmals auf Jawlensky traf. Ab 1900 studierte er an der Münchener
Kunstakademie.
Vom Revolutionär zum deutschen Internationalisten
1914 flieht er nach Russland
und nimmt an der russischen Revolution teil.
Mit Marc begründet er den Blauen Reiter Nach dem Krieg folgt er einem Ruf von Gropius´ ans Bauhaus.
1933 wird er wiederum zum unerwünschten Ausländer und geht nach Paris. So ist
er ständig unterschiedlichen zeitgenössischen Einflüssen unterworfen, was sich schließlich
in einer eigenen Form- und Farbtheorie der abstrakten Malerei niederschlägt,
die versucht im synästhetischem Sinne auch Musik mit einzubeziehen.
Charlotte Salomon – ein trauriger „Fall“
Ein weiteres Beispiel künstlerischer Zeitgenossenschaft ist die Berliner Künstlerin Charlotte Salomon. Von Anfang an hatte sie es sehr schwer, als Künstlerin zu studieren und zu arrivieren. Eine marginale Hilfe war die Reputation ihres Vaters, der als Arzt im Krieg gewisse Reputation als Frontkämpfer genoß.
1938 floh Salomon zu ihren Großeltern nach Südfrankreich. Als die Nazis Frankreich besetzten, nahm sich na Salomos Mutter, auch die Großmutter das Leben. In tiefe Depression gestürzt, empfahl ihr ein Arzt, ihre Malerei wieder aufzunehmen, was schließlich zu einem opulenten Werk von 1300 Gouache führte, in denen sie versuchte, ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. 1943 wurde Charlotte Salomon von den Nazis gefasst und von ihnen in Auschwitz umgebracht.
Joseph Beuys, viel gelobt und viel gescholten
Als ein letztes Beispiel zeitgenössischer künstlerische Biographie wurde von Ruppert Joseph Beuys genannt, einst selbst Nazi und Bomberpilot, der sein ganzes künstlerisches Leben versuchte, seine Traumata der Verletzungen und der Todeserfahrung in seinem künstlerischen Werk zu verarbeiten, verbunden mit der Hoffnung, dass durch allgemeine Kreativität eine friedliche Gesellschaft möglich sei.